Diagnostic – ein Märchenbuch für Hauskäufer
- Arlette Pinggera

- vor 7 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Kauft man in Frankreich ein Haus, bekommt man nach der Unterzeichnung des Offre d`achat einen Stapel Papier, der schwerer wiegt als so mancher Dachbalken, genannt Diagnostic Immobilier.
In unserem Fall waren es über siebzig Seiten. Ja, richtig gelesen. Sieben. Null. Über siebzig Seiten vollgepackt mit Zahlen, Tabellen, Grafiken, Vermerken und, so dachten wir damals, mit unbestechlicher Wahrheit.
Als Schweizer liest man das ehrfürchtig. Man glaubt, man halte hier so etwas wie den "medizinischen Befund" des Hauses in den Händen. Grösse, Gewicht, Charakter, alles schwarz auf weiss. Ein sicherer Wert, dachten wir, während wir leise in Richtung Schweiz grinsten, wo ein Haus im Grunde nach dem Prinzip "gesehen, gekauft, fertig" den Besitzer wechselt. Heute lachen wir. Herzlich. Laut. Und ein kleines bisschen wehmütig über unsere damalige Naivität.
Denn unterdessen haben wir das Ganze vom anderen Ende der Geschichte her erlebt. Diesesmal waren wir nicht die ehrfürchtigen Leser, sondern die Auftraggeber. Und glauben Sie mir, die Sicht ändert sich gewaltig.
Es gibt insgesamt zwei Diagnostiken die erstellt werden müssen.
Zwei nette Herren erschienen, pünktlich um 08.30h, freundlich und professionell.
Ihre erste Frage, ob sich irgendetwas verändert habe, Dämmung, Fenster, tragende Wände, beantworteten wir mit einem Nein.
Lange dauerte es nicht, bis die erste Unruhe ausbrach. Sie standen in unserer Küche und stellten anhand ihrer Pläne fest, dass der Raum bei ihrer letzten Kontrolle schlicht und einfach ein Zimmer war. Nun stand da ein Kochherd. Mein Einwand, das habe doch nun wirklich keinen Einfluss auf das Mauerwerk, wurde charmant, aber bestimmt ignoriert. Die Folge? Man beschloss, jedes Zimmer neu auszumessen. Alle. Bei knappen zwanzig Räumen dauert das.
Mit viel Geseufze und Gestöhne machten die beiden Herren sich an ihre, selbstauferlegte Arbeit. Sie hätten es auch einfacher haben können, wollten wir ihnen doch, anhand der Pläne, kurz und knapp erklären dass wir nur ein einziges Zimmer zweckentfremdet hatten.
Ich stellte mich unterdessen in besagte Küche und begann damit ein kleines Mittagessen vorzubereiten, da ich dem Gestöhne entnehmen konnte, dass sie auf ihre Mittagspause würden verzichten müssen. Und so sassen die beiden dann kurz nach zwölf, noch immer mit ihren Laptops beschäftigt und liessen sich den Tomatensalat und die Quiche Lorraine schmecken.
Erstaunlich fanden wir, dass für die wirklich wesentlichen Dinge nicht viel Zeit aufgewendet wurde. Ein kurzer Blick aufs Dach. Eine ebenso kurze Prüfung der Dachunterkonstruktion und der tragenden Mauern. Vieles von dem. was im früheren Gutachten bereits stand, wurde einfach übernommen.
Copy & Paste in offizieller Form, sozusagen. Da fragt man sich, als inzwischen abgeklärter Wahlfranzose: Wozu das Ganze eigentlich?
Als hätten die 70 Seiten und das neugeschaffene "Küchenproblem" nicht schon genug Komik geboten, kam noch eine zweite Runde, in Form der Diagnostic Assainissement pour Vente, sprich der Überprüfung der Fosse septique.
Für alle, die mit französischen Landhäusern nicht so vertraut sind: Viele von ihnen hängen nicht am öffentlichen Abwassersystem. Stattdessen besitzen sie ihre eigene kleine Klärgrube. Für uns Nichtfranzosen eine eher schauderhafte Vorstellung, aber so ist das Landleben eben.
Unsere Grube hatte bei der letzten Prüfung einen ziemlich schlechten Bericht bekommen. Wir waren also gespannt auf den neuen Termin. Der Kontrolleur kam, spazierte zusammen mit Joos einmal um unser Haus herum und verkündete, er habe die Fosse septique nicht gefunden. Danach verabschiedete er sich.
Das der Kostenpunkt 150 Euro pro Haus war, fanden wir für einen kurzen Spaziergang schon etwas arg, aber dass das Ergebnis in den Berichten, die exakte Kopie, der drei Jahre vorher gemachten Berichte war, fanden wir dann doch die Höhe.
Ich schrieb höflich eine Mail und wies darauf hin, dass man zumindest den Namen aktualisieren könnte, denn das stand unter Eigentümer noch immer der Name des Vorbesitzers.
Wir waren fassungslos. Da wird ein Bericht erstellt, in dem von defekten Klappen und Deckeln die Rede ist, obwohl die Grube gar nicht gefunden wurde. Und wir fragten uns ernsthaft, ob unser Haus überhaupt eine Fosse septique hat.
Aber zum Glück haben wir einen Trumpf: Joos und seinen Bagger. Die beiden begaben sich gemeinsam auf Schatzsuche und fanden unter Schichten von Erde und Steinen unsere Fosse septique.
Glücklich schrieb ich erneut an Monieur Kontrolleur, diesmal mit dem Hinweis, dass es wohl seit Jahren, mindestens seit 2015, als das Haus von den Franzosen an die Schweizer vor uns verkauft wurde, keine echte Kontrolle mehr gegeben hatte, weil niemand die Fosse je gefunden hatte. Stattdessen wurde munter ins Blaue geschrieben, wie es wohl um Klappen und Deckel stünde. "Pas avec moi", sagt mein Papa in solchen Situationen ;-)). Nicht mit mir.
Nach einigem hin und her, spazierte Monsieur Le Controlleur erneut um unser Haus herum. Zu unserer Belustigung, musste Joos ihm die Pläne erklären und dann standen wir zu dritt um die Öffnungen herum und diskutierten, ob denn nun etwas am Bericht geändert werden müsse. Fakt ist, man weiss es nicht, denn um dies abschliessend beurteilen zu können, müsste man das ganze Ding ausgraben.
Am Ende, nach all den Messungen, Notizen und Checklisten, halten wir wieder ein schönes, dickes Dokument in unseren Händen. Offiziell. Beeindruckend. Und doch, nun mit einem anderen Blick, irgendwie mehr Theaterstück als Tatsachenbericht. Es ist ein bisschen wie ein Märchenbuch. Wer`s liest, glaubt, alles sei geprüft. Wer`s miterlebt weiss, dass die Wahrheit vielleicht eine andere ist.
Und so stehen wir hier, zwischen den Welten und zwischen den Realitäten. Wir lachen über unsere frühere Ehrfurcht. Wir schmunzeln über das Prozedere. Und wir nehmen es, wie man hier in der Haute-Saône so vieles nimmt, mit Geduld und einem Augenzwinkern.
À bientôt




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